„Über Geld spricht man nicht“, habe ich gelernt. Der Zusatz „man hat es!“ wurde eher geflüstert, mit einem Augenzwinkern, hinter vorgehaltener Hand.
Nun bin ich nicht „man“ und ich spreche gern über Geld. So wie Linda. „Maulkörbe lasse ich mir nicht umbinden“, sagt sie.
Sie war als Sozialpädagogin bei einem freien Träger der Jugendhilfe angestellt und im März 2020 war sie sogar zur „Alltagsheldin“ ernannt worden. Daraufhin hatte sie in einem Mitarbeiterinnengespräch eine kleine Gehaltsanhebung für sich herausgehandelt und dann hieß es: „Aber sag es nicht weiter!“ Nun ist Linda eine, die sich den Mund nicht verbieten lässt und außerdem wurde sie sehr neugierig. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihr neues Gehalt weit über dem Durchschnitt lag, schließlich hatte sie sich vorab über die Tarfie informiert. Und es wäre ihr auch sehr unangenehm, mehr zu verdienen als die Kollegen und Kolleginnen, die genauso erfahren und hochqualifiziert sind, wie sie. Also begann sie zu fragen. Einige Kolleginnen gaben an, ihren Stundensatz gar nicht zu kennen und sie sagten Geld sei nicht wichtig. Sie wären hier, wegen des tollen Teams. Andere antworteten: „ich soll es nicht sagen“ und wollten Bedenkzeit.
In den nächsten Tagen legte Linda die ausgedruckten Tariftabellen im Teambüro aus. Schließlich warb der Arbeitgebber auf seiner website mit „übertarifliche Entlohnung“. Und so langsam kam Bewegung ins Team. Als herauskam, dass junge Männer, frisch von der Hochschule mindestens genausoviel verdienen, wie erfahrene Kolleginnen mit Zusatzqualifikationen, beschloss Linda zu kündigen.
Ihre Erfahrungen bei den Bewerbungsgesprächen hat sie aufgeschrieben. Alle Jugendhilfeträger gaben an „in Anlehung an Taruf“ zu bezahlen und bei fast allen gab es Verhandlungsspielraum und die Stundensätze lagen bis zu 8 Euro auseinander. Die „Anlehung an Tarif“ wird üblicherweise als fortschrittlich bezeichnet, dabei stammen diese Tariftabellen aus einer Zeit, in der man noch an lineare Lebensläufe glaubte. Wer vor 20 Jahren die Laufbahn als Beamte oder Beamter einschlug und die ganze Zeit in der Spur blieb, kann die höchste Gehaltsgruppe erreichen. Wer bei freien Jugendhilfeträgern arbeitet, hat keine Chance. Die Entwicklungsmöglichkeiten sind begrenzt, Zusatzqualifikationen wirken sich nicht auf das Gehalt aus und wer den Arbeitsplatz wechselt, steigt bestenfalls bei Position 3 wieder ein. Dann heißt es „aussetzen“, wie beim „Mensch-ärgere-Dich-nicht“. Linda wird in Rente gehen, bevor sie die Position 6 erreicht. Wenn sie Glück hat, wird ihr neuer Arbeitgeber sie vorzeitig höherstufen. Dann schafft sie es wenigsten in die 5.
Der Text lag fast 2 Jahre in der Schublade, Linda hat es inzwischen in die Stufe 5 geschafft. Sie hat noch 4 Jahre bis zur Rente und einen „vorzeitigen Stufensprung“ beantragt. Der Geschäftsführer könnte unterschreiben, er will aber nicht.