Aus der Kursreihe „Familiengeschichte schreiben“ ist die Schreibgruppe „Lebensgeschichten aufschreiben“ entstanden. Eine Teilnehmerin hat mir den folgenden Text zur Veröffentlichung zukommen lassen.
In den Schuhen meiner Tochter
weil meine noch nass waren
zu nass
weil ich gestern vom Regen überrascht worden bin – naja – eigentlich war er angekündigt, der Starkregen. Und ich bin trotzdem los, mit dem Fahrrad. Denn ich wurde erwartet.
Erst nieselte es nur und ich zog meine Regenjacke an.
Ab Liselotte-Platz bis rauf zum Luna-Burcu-Ring war es dann heftig. Ich wusste, danach geht’s bergab, und was, wenn die Änderlich-Senke dann überschwemmt ist? Und die Durchfahrt gesperrt. So wie im vergangenen Jahr. 15 Minuten Starkregen sind genug, um ganze Stadtteile unter Wasser zu setzen. Zwischendurch stieg ich ab, weil ich schlecht sehen konnte. Meine Brillengläser haben ja keine Scheibenwischer, und ich konnte nicht abschätzen, wie tief die Pfützen sind. Und dann stand ich mit beiden Füßen im Wasser. knöcheltief. Ich schob das Rad auf den Gehweg und fühlte ich mich sicherer. Menschen kommen mir entgegen. Klatschnass. Lachend, die meisten. Wer keinen Sommerregen erlebt, hat etwas verpasst.
Ich will nur nachhause, nirgendwo hin, wo ich gut aussehen muss. Nur nachhause, nicht zu mir nachhause. Aber ich muss ankommen. Die Katze versorgen. Ich habe es versprochen. Ich fahre wieder ein Stück, trete in die Pedale. Platsch. Ein Auto rast durch die Kuhle, das Wasser peitscht hoch, volle Breitseite links, ich komme ins Wanken, sehe mich schon in den Abendnachrichten. „Wer kennt diese Frau?“ Ein Foto von mir. Im Rettungswagen. Schwer verletzt. Wie lange kann eine Katze überleben ohne Futter? Die junge Familie kommt in drei Tagen aus dem Urlaub zurück.
Ich nehme den Fahrstuhl. Das mach ich sonst nie. Hinterlasse eine kleine Pfütze. Als ich die Wohnungstür hinter mir schließe, begrüßt mich ein verärgertes Mrrrrrr, soll heißen: wird Zeit, dass du kommst.
Ich ziehe mich aus und lege die nassen Sachen in der Badewanne ab.
In meine Sneakers stopfe ich Tücher – trockene Wischlappen. Denn Zeitungen gibt es hier keine.
Meine Jeans sind fast trocken am nächsten Morgen. Ich hänge sie in die Sonne, frühstücke und unterhalte mich mit der alten Katzendame, die mir nun mauzend um die Beine streicht. Soll heißen: bleib doch noch hier.
Ich ziehe die Lappen aus meinen Sneakers, viel Saugkraft haben sie nicht. Setze trotzdem den linken Fuß in den Sportschuh mit den roten Streifen.
Schmatz.
lieber nicht.
ich werde den ganzen Tag unterwegs sein.
Meine Socke ist nass, hat sich in wenigen Sekunden vollgesaugt, ich öffne den Schuhschrank. Greife die Sneakers mit den weißen Streifen. lege sie wieder zurück. Nehme die anderen, die blauen, diese Marke kenne ich nicht. Steige ein, nachdem ich nochmal die Socken gewechselt habe.
Perfekter Sitz, fester Halt.
Schließe die Wohnungstür hinter mir, nehme die Treppe.
Die Straßen sind trocken, nur ein paar Pfützen sind übrig geblieben.
Ich steige aufs Rad. Trete in die Pedale.
In den Schuhen meiner Tochter. Das habe ich noch nie gemacht, in den Schuhen meiner Tochter.
Weil meine noch nass waren. Zu nass.