Heimat ist ein Gefühl

29.09.2022 | biografische Skizze, Wortwirkungen

Heimat ist ein Gefühl und kein Ort auf der Landkarte

Wann ich mal wieder in die Heimat komme, fragt meine Tante. Ich weiß, sie meint, das Dorf meiner Kindheit und wann ich meine Eltern besuche. Will sie mich ärgern? Sie weiß doch sehr genau, dass ich die Gegend, in der ich aufgewachsen bin, nicht als Heimat bezeichne. Am Telefon kann ich ihre Mimik nicht sehen und frage: „was meinst du?“    
„Auf deine Reaktion war ich neugierig. Früher bist du immer gleich an die Decke gegangen, wenn irgendwer von Heimat sprach und jetzt bist du ruhig geblieben“.               
Als Kind dachte ich, Heimat ist immer woanders. Mein Opa sprach von „Daheeme“, seine Heimat schien unerreichbar, später verstand ich, dass er und seine Familie zu den – 1945 -Vertriebenen gehörte.     
Andere haben behauptet, dass Heimat etwas ist, das man verteidigen muss. Gegen die Einwanderer, gegen die Fremden. Und ich fühlte mich unwohl.        
Wer war denn gemeint, mit den Fremden? Waren  es meine Großeltern, meine Mutter und ihre Brüder, vor denen man sich schützen muss? Und warum muss man das Land verteidigen? Was ist denn so gefährlich an den fremden Menschen? Und wer muss sich schützen? Muss ich mich auch schützen? Und vor welcher Bedrohung? Oder bin ich eine, von den anderen, eine von der die Bedrohung ausgeht? Bin ich auch eine vor der sich man sich fürchtet?         
Ja, wo gehöre ich denn eigentlich hin?        
Mein Vater und seine Eltern waren von „Hier“. Ich habe mich immer gewundert, dass meine Großeltern, also die Eltern meines Vaters und die Eltern meiner Mutter, sich nie, wirklich niemals, gegenseitig besuchten. War das ein Zeichen der stillen Feindschaft?         
Und ich? Wo bin ich? Bin ich Beides oder bin ich Keines? Und wo gehöre ich hin?        
Mein Gefühl entschied sich, zu den Fremden gehören zu wollen. Sie kamen mir schwächer vor. Ich stellte mich zeitlebens immer auf die Seite der Schwächeren. Und doch zieht sich die Frage nach der Zugehörigkeit durch mein Leben, wie der vielzitierte rote Faden.         
Heimat war für mich niemals an einen Ort gebunden. Heimat war da, wo ich sein konnte. Einmal schrieb ich ein Gedicht, das endete mit der Feststellung: Freiheit ist Heimat für mich. Ja, Freiheit. Freiheit war immer wichtig für mich, Freiheit und Unabhängigkeit. Ich war immer mit leichtem Gepäck unterwegs, bin oft umgezogen und habe viele Jahre mit Pappmöbeln gewohnt. Einmal dachte ich, es wird Zeit zu bleiben und schaffte mir einen großen schweren Kleiderschrank an, und dann konnte ich nicht ruhig schlafen, weil ich das Gefühl hatte, erdrückt zu werden, von diesem Riesenmöbel. Bei anderen fand ich sie schön, diese standfesten Möbel in den Häusern, in denen man bleibt, und ich beneidete sie.            
Tauschen wollte ich nicht und doch kamen die Zweifel. Ich dachte, es sei nicht in Ordnung so zu leben, wie ich, so ungebunden, so frei. Es sei ein typisches Kriegsenkelproblem, hieß es. Ein Problem, also etwas, das man schnell wieder loswerden will und nichts, worauf man stolz sein kann. Niemand sagte, es sei eine Gabe, dieses Flexibele, dieses Bewegungsfreudige, dieses Ungebundene.
Es hat viele Jahre gebraucht und viel Biografiearbeit bis ich mich in mir und meinem Leben heimisch fühlte. Heimat ist kein Ort auf der Landkarte. Ich habe sie immer bei mir.

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